Alexandra Wehrmann erzählt Storys zum Inhalieren. Auf ihrem Blog „theycallitkleinparis“ porträtiert die Journalistin spannende Köpfe aus Düsseldorf – mit analoger Fortsetzung. Seit 2016 führen ihre Stadtrundgänge zu Menschen, über die sie schreibt. Begonnen hat alles in Oberbilk. So auch ihr neustes Konzept. Ein paar Fragen.
Inhaltssprung.
Ein Interview mit und über Alexandra Wehrmann.
Alexandra, welche Geschichte steckt hinter deinen Stadtrundgängen?
Mir selbst macht es total viel Spaß, an Stadtführungen teilzunehmen. Wenn auch oft leider nur Stadthistorie abgespult wird und die Möglichkeit fehlt, Leute zu treffen. Aus dieser Lücke entstand die Idee vom realen Wurmfortsatz meines Blogs. Ich wollte die Menschen, die ich hier porträtiere, gerne persönlich und in ihren Räumen zeigen. Das ganze Konzept also dreidimensional gestalten. Bewusst ging es dann 2016 unter dem Banner „Still loving Oberbilk“ in meinem Heimatviertel los. Man muss dazu sagen: In der Zeit durchzog Oberbilk viel Blaulicht. Kurz vor dem ersten Rundgang hat eine massive Polizei-Razzia stattgefunden, die vor allem Kulturvereine und Shisha-Cafés in Visier genommen hat. Natürlich flog hier der mediale Ballon prall gefüllt mit. Ständig traf man im Viertel auf Journalisten, Reporter und Kamerateams, die am Ende des Tages allesamt ein sehr einseitiges Bild zeigten. Oberbilk als kriminelle Migranten-Hochburg Düsseldorfs. Das war mir dann doch zu einseitig. Es ist auf keinen Fall alles Gold in Oberbilk. Gar keine Frage. Aber eben auch nicht andersherum. Deshalb der Rundgang, der das große Ganze zeigen sollte – darunter viel Kreativität, Engagement und unglaubliche Geschichten.
Schwing damals auch ein Stück weit gekränkter Stolz mit – so als Oberbilkerin?
Tatsächlich identifiziere ich mich mit dem Stadtteil stärker als mit der Stadt an sich. Demnach bin ich mehr Oberbilkerin, weniger Düsseldorferin. Das hat in gewisser Weise – auch wenn ich die eigentliche Vielfalt der Stadt bestens kenne – mit den Düsseldorfer Klischees zu tun. Die sind bekannt. Von der Königsallee bis zur Altstadt. Genau davon distanziert sich Oberbilk so herrlich. Seit zehn Jahren wohne ich nun hier und finde den Stadtteil bis heute wahnsinnig spannend. Er steht für einen Strukturwandel. Für eine internationale Bevölkerung. Für einen Ort, an dem immer etwas los ist und der so enorm vielseitig ist. Alleine der Weg vom Hauptbahnhof zu mir nach Hause: Zuerst geht es an marokkanischen Cafés an der Ellerstraße vorbei. Dann am Bahndamm-Bordell entlang eines Altenheims bis zur gutbürgerlichen Gegend rund um den Lessingplatz. Noch weiter Richtung Mitsubishi Electric Halle prägen wieder ganz andere Lokale und Nationen das Bild. Dass mich diese Vielfalt so sehr reizt, erkläre ich mir selbst immer so: Aufgewachsen bin ich in einer Bundeswehrsiedlung am Stadtrand. Also in einer total homogenen Gruppe von Kindern, deren Väter alle Soldaten waren oder bei der Bundeswehr-Verwaltung gearbeitet haben. Heute wäre es für mich unvorstellbar, an so einem Ort zu leben. Um deine Frage aber noch zu beantworten: ja, ein Stück weit wahrscheinlich schon.
Wie organisierst du deine Rundgänge?
Die Rundgänge finden mit ihrem jeweiligen Inhalt nur ein einziges Mal statt. Vor jeder Führung gebe ich ausschließlich den Treffpunkt bekannt. Zwar entstehen während der Tour Fotos, auf ein Handout oder ein Programmheft wird aber bewusst verzichtet. Mir gefällt der Gedanke, dass das Ganze in der Erinnerung der Leute weiterlebt. Der Moment ist kurz da, verflüchtigt sich dann aber wieder. Meistens sind wir 30 bis 40 Personen. In einem zeitlichen Abstand von zwei bis drei Monaten führe ich die Gruppen durch eher raue, unwirkliche Orte. Oberbilk, Lierenfeld oder Garath. Solche Stadtteile finde ich einfach spannender als die glatten, durch den Konsum geprägten Viertel. Gerne würde ich auch mal nach Düsseldorf-Reisholz oder Holthausen.
Dein neustes Projekt ist ein lebendiger Adventskalender: „Für einen Moment. Aktionen in der Einfahrt.“ Was erwartet uns?
Zwischen dem 1. und 23. Dezember öffnen sich um 18:30 Uhr die grauen Flügeltüren einer Hofeinfahrt auf der Industriestraße 33 in Oberbilk. Am 24. Dezember bereits um 13 Uhr. Dahinter passiert etwas: Karaoke, Konzerte, Lesungen, Pole Dance, Stand-up-Comedy. Jeden Tag wartet ein anderes Programm. Teils lustig und unterhaltsam. Teils traurig und bewegend. Die Aktionen dauern maximal 15 Minuten, danach können die Leute noch zum Plaudern bleiben.
Viele Akteure kommen selbst aus Oberbilk – darunter zum Beispiel die Gründerinnen des Pole Dance Studios „Pole Land“. Über einen Facebook-Aufruf fand ich einen Hausbesitzer, der uns seine Hofeinfahrt zur Verfügung stellt. Die Organisation von 24 verschiedenen Toren, wie es sich für einen richtigen Adventskalender gehört, war am Ende zu aufwendig. Viel wichtiger ist mir hier der öffentliche Charakter, den die Aktion besitzen soll. Sprich: Alle Ereignisse sind kostenlos und auch für Leute gedacht, die zufällig vorbeikommen.
Welche Bedeutung hat die Eule auf dem Foto?
Nur die Hofeinfahrt für die Aktion zu fotografieren, war mir etwas zu dünn. Da kam mir die Eule als Platzhalter für einen Überraschungsmoment sehr entgegen. Das Kostüm stammt dabei aus der „Kirschgarten“-Version von Marlin de Haan, die vor einiger Zeit auf der Kiefernstraße zu erleben war. An manchen Abenden wird die Eule bestimmt auch vor Ort sein. Mehr kann ich dazu noch nicht verraten.
Blog, Stadtrundgänge, Adventskalender: Du hast viele Ideen. Wer oder was inspiriert dich?
Viele Orte, Aktionen und Menschen inspirieren mich. Wer sich mit offenen Augen fortbewegt, kann überall Ideen aufschnappen – und für sich dann auch weiterentwickeln. Grundsätzlich ist der Gedanke eines lebendigen Adventskalenders nicht neu. Das gab es schon oft. Zum Beispiel habe ich vor ein paar Jahren in der Bergerkirche selbst einen erlebt, der mir ziemlich gut gefallen hat. Die Idee, das Ganze mit der Hofeinfahrt zu verbinden, ist quasi die Fortsetzung davon. Auch Künstler wie Markus Ambach, die viel im öffentlichen Raum machen, finde ich enorm spannend. Wenn ich seine Arbeit nicht kennengelernt hätte, wären manche meiner Ideen in der Form sicherlich nicht entstanden. Mein journalistischer Hintergrund spielt hier natürlich auch eine Rolle. In dem Beruf hat man nunmal das Privileg, Leute zu treffen. Sie mit Fragen zu löchern. Ihnen mit maximalem Interesse zu begegnen. Das stößt gemeinhin auf Freude und Lust, von sich zu erzählen. So wie bei mir in diesem Moment gerade.
Welche Begegnung ist dir besonders stark im Gedächtnis geblieben?
Extrem beeindruckt haben mich ich zwei Frauen, die vor vielen Jahren die christliche Hausgemeinschaft in Oberbilk gegründet haben: Eva Essa und Eva Bald. Beide sind über 60 und kümmern sich bis heute um Drogenabhängige und Prostituierte. Mit ihnen gemeinsamen leben sie in einem Haus auf der Kölner Straße, das sie gekauft haben und peu à peu sanieren. Ich bin dort gewesen. Den Mut aufzubringen, Menschen mit teilweise krassen Backgrounds bei sich aufzunehmen, ist der Wahnsinn.
Eine letzte Frage: Gibt es spruchreife Konzepte für die Zukunft?
Es könnte sein, dass ich die Stadtrundgänge in absehbarer Zeit nicht mehr organisiere. Mittlerweile gibt es in der Hinsicht mehrere Angebote, die sich ähnlich orientieren. Das nimmt natürlich die Spannung und den Reiz an dem Projekt. Ich habe aber schon ein neues Konzept, wo der Titel bereits feststeht: „In die Leere“. Das Ganze soll sich den Leerständen und Brachen der Stadt widmen. Bewusst möchte ich die Stellen besetzen, an denen sich keiner gerne aufhält. Wie das Ganze am Ende konkret aussehen wird, kann ich an dieser Stelle aber noch nicht sagen.
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